VG Hamburg: Produkte, die keinem Standard entsprechen, begründen einen Verdacht, dass sie auch nicht den Anforderungen des § 4 Abs. 2 GPSG (entspricht § 3 Abs. 2 ProdSG) entsprechen
Das VG Hamburg hatte in seinem Urteil vom 28. September 2010 – Az. 10 K 1128/09 über sog. Bigbags (bzw. Einweg-FIBC – Flexible Intermediate Bulk Container, „flexibles mittleres Behältnis für Massengüter“, bzw. in diesem Fall große Säcke für Schüttgut) zu befinden, mit denen ein Unternehmen Chemikalien aus China in die EU einführte. Nachdem es beim Verladen solcher FIBC zu einem Unfall gekommen war, hat die Marktaufsichtsbehörde angeordnet, dass „Einweg-FIBC … nur dann in den Europäischen Wirtschaftsraum eingeführt werden [dürfen], wenn sie sicher sind.“ Das VG Hamburg hatte hiergegen keine Bedenken.
Das Urteil ist unter der Geltung des GPSG ergangen. Die Ausführungen lassen sich jedoch auf das ProdSG übertragen, so dass im Folgenden nur die derzeit geltenden Vorschriften des ProdSG benannt werden.
Unterfallen Produkte einer Produktsicherheitsverordnung, so müssen sie nach § 3 Abs. 1 ProdSG den dort vorgesehenen Anforderungen genügen. Im Fall, den das VG Hamburg zu beurteilen hatte, wurden die Bigbags von keiner Produktsicherheitsverordnung erfasst. Insbesondere fielen die FIBC nicht in den Anwendungsbereich der Maschinenverordnung (9. ProdSV).
Unterfällt ein Produkt keiner Produktsicherheitsverordnung, muss es den Anforderungen des § 3 Abs. 2 ProdSG genügen; es darf dann nur auf dem Markt bereitgestellt werden, wenn es bei bestimmungsgemäßer oder vorhersehbarer Verwendung die Sicherheit und Gesundheit von Personen nicht gefährdet. Hierfür benennt § 3 Abs. 2 ProdSG weitere Voraussetzungen. Für die Beurteilung können harmonisierte Normen (§ 4 Abs. 1 ProdSG) oder andere Normen (§ 5 Abs. 1 ProdSG) herangezogen werden. Entspricht ein Gerät einer harmonisierten Norm oder einer Norm, die von der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin im Gemeinsamen Ministerialblatt bekannt gegeben worden ist, wird nach § 4 Abs. 2 bzw. § 5 Abs. 2 ProdSG vermutet, dass es den gesetzlichen Sicherheitsanforderungen genügt.
Im vom VG Hamburg zu beurteilenden Fall existierte mit der DIN EN ISO 21898 eine Norm im Sinne von § 5 Abs. 2 ProdSG. Die streitgegenständlichen Bigbags entsprachen dieser Norm jedoch nicht. Die Klägerin behauptete aber, sie entsprächen einem – nicht näher benannten – chinesischen Standard, der seinerseits einem japanischen Standard entspreche. Letztlich war deshalb nach Auffassung des VG davon auszugehen, dass die FIBC überhaupt keinem Standard entsprachen. Da das klagende Unternehmen auch keine eigenen Qualitätskontrollen durchführte, war unbekannt, welchen Belastungen die Einweg-FIBC standhielten. Es bestand deshalb der Verdacht, dass die Behältnisse nicht den gesetzlichen Anforderungen genügten. Es konnte deshalb auch nicht ausgeschlossen werden, dass von den Produkten Gefahren ausgehen. Dem könne auch nicht entgegengehalten werden, dass es bislang – außer in einem dokumentierten Fall – zu keinen Unfällen gekommen sei.
Das Gericht hat auch die äußerst knappe Anordnung, zukünftig nur sichere FIBC einzuführen, für rechtmäßig gehalten. Der Begriff „sicher“ sei durch die Bezugnahme auf das Gesetz (jetzt § 3 Abs. 2 ProdSG) ausreichend bestimmt. Die Marktaufsichtsbehörde habe auch keine konkreten Maßnahmen vorgeben müssen.
Das Urteil zeigt zunächst exemplarisch die „Funktionsweise“ des ProdSG mit seiner Differenzierung zwischen Produkten, die von Produktsicherheitsverordnungen erfasst werden, und solchen, die nicht erfasst werden, sowie die verschiedenen Möglichkeiten, wie die Sicherheit eines Produkts bestimmt werden kann. Letztlich ist es auch konsequent, wenn das Gericht die tendenziell sehr knappe Ordnungsverfügung bestätigt hat. Der neue Ansatz – new approach – überlässt es den Herstellern und Inverkehrbringern, die Sicherheit ihrer Produkte sicherzustellen. Diesem Ansatz würde es widersprechen, wenn die Marktaufsichtsbehörden bei (vermutlich) unsicheren Produkten konkrete Vorgaben zur Absicherung machen müssten.